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Rezension: Mode und andere Neurosen- Katja Eichinger, Blumenbar


#Katja_Eichinger, die Autorin dieses Buches, studierte am Britisch Film Institute und war Journalistin in London u.a. für Vogue, Dazed & Confused als auch für die Financial Times tätig.

"Mode und andere Neurosen" ist ein intellektueller und dabei kurzweiliger Spaziergang durch die Welt der Mode und deren Verirrungen. Untergliedert in zehn Kapitel, beginnt die Autorin mit einem Zitat aus Goethes "Die Leiden des jungen Werther" und macht in ihren kritischen Modebetrachtungen immer wieder deutlich, dass es für sie noch andere Welten gibt als die der schnelllebigen Mode-Hypes, nicht zuletzt: Die Welt der Philosophie, der Literatur und der Psychologie. Um wirklich den Zeitgeist zu erfassen, muss man in der Lage sein, Zusammenhänge, die hier bestehen, zu begreifen. Katja Eichinger vermag das brillant und ist erfreulich entspannt und weltläufig dabei. 

In der Welt, so erfährt man, ist sie viel herumgekommen, gewiss, ein Grund für ihre Toleranz so manchen Modetorheiten gegenüber, die sie im Buch thematisiert. Das Anekdotische verleiht ihren Texten übrigens eine charmant authentische Note. So schreibt sie im 1. Kapitel u.a. von einer zufälligen Begegnung mit dem Philosophen Jürgen Habermas, der einst den Grundstein für die moderne Kommunikationstheorie gelegt hat. Sie erinnert an dessen Kyoto-Rede und zitiert dessen Freiheitsdefinition, um zugleich auf dessen Sneakers aufmerksam zu machen, ein Paar Nike vom Modell "Free Ultra", die er bei dieser zufälligen Begegnung trug. (Anbei seine Definition von Freiheit: "Der Handelnde ist frei, wenn er will, was er als Ergebnis seiner Überlegung für richtig hält. Als Unfreiheit erfahren wir nur einen äußeren Zwang, anders zu handeln, als wir nach eigener Einsicht handeln wollen.")  

Kurios, dass Freiheit die Essenz eines Turnschuhs ist, weil man mit ihm jeden Bewegungsdrang uneingeschränkt ausleben kann. Das große Thema von "Streetwear", unter dem der Begriff Freizeitmode zusammengefasst ist, begreift sich als frei sein von Zwängen, die allerdings durch entsprechende Modediktate des „must have“ konterkariert werden. Wie Eichinger so zutreffend anmerkt, zeigt der Vormarsch der Streetwear, dass Freiheit mehr denn je zu einem vermarktbaren Gut geworden ist. 

Tiefenpsychologisches schreibt die Autorin  u.a. über Handtaschen und erläutert, weshalb Designertaschen zum weiblichen Statussymbol geworden sind: "Wo männliche Statussymbole penetrieren wollen, zeichnet sich die Statussymbolik der Designerhandtasche durch "impenetrability" aus. Sie ist unbezwingbar, undurchdringlich. Steif und rigide. Sie macht sich rar. Wie ein gutes Mädchen oder eine Trophäenfrau"

Die Autorin reflektiert auch das relativ neue Phänomen des Selfie, das als Inbegriff des Narzissmus und eines zwanghaften Selbstdarstellungstriebs gilt. In diesem Zusammenhang schreibt sie über Influencer, die ständig neue Fotos von sich liefern, um die eigene Popularität aufrechtzuerhalten. 

Facelifting als Folge von neurotischer Bildbearbeitung folgt als weiteres Thema und hier macht Eichinger eine Beobachtung, die bemerkenswert ist. Ab einem gewissen Alter geht es Frauen, die sich liften lassen, nicht mehr darum, von Männern wahrgenommen zu werden, sondern eher um die Anerkennung innerhalb ihrer Gruppe von ähnlich Operierten. Es sei insofern ein soziales Spiel. 

Selbstobjektifizierung sei schwer mit Selbstliebe und Selbstakzeptanz vereinbar, denn Objektifizierung bedeutet, der Körper werde für andere konsumierbar gemacht.  Genau so ist es.

Neurotisches zum Thema Bart und auch zu Tätowierungen ist eine weitere Facette des derzeitigen Zeitgeistes. Während Mode und die damit verbundenen Indentitätsmerkmale austauschbar sind, werden bei Tatoos Identitäten auf die Haut tapeziert, bei denen kein Wechsel mehr möglich sei. So geben Tatoos Halt gegen Beliebigkeit.

Wechsel gibt es bei Fast Fashion pausenlos, gewollt ist, dass man rasch und viel wegwirft, damit man viel konsumieren kann. Fast Fashion sei der wichtigste Modetrend der letzten Jahre. Kein anderer Trend habe einen größeren und unmittelbareren Einfluss auf unser Verhalten, Realitätswahrnehmung, die globale ökonomische Struktur und die Natur. Fast Fashion sei exzessives, sehr bedenkliches  Konsumverhalten. 

Über all das und anderes mehr liest man in den Essays von Katja Eichinger viel Erhellendes und freut sich über ihren nonchalanten, ich sage es nochmals, sehr weltläufigen Stil, der das Buch zu einem Lesevergnügen der besonderen Art macht 

Sehr empfehlenswert 

Helga König

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